Rhythmus. Zum Wesen der Sprache bei Heidegger

Cathrin Nielsen
Article publié le 23 juillet 2010
Pour citer cet article : Cathrin Nielsen , « Rhythmus. Zum Wesen der Sprache bei Heidegger  », Rhuthmos, 23 juillet 2010 [en ligne]. https://www.rhuthmos.eu/spip.php?article153

ZUSAMMENFASSUNG : Einer Bestimmung Martin Heideggers zufolge ist
die Sprache das “Haus des Seins”. Die Sprache ermöglicht nicht nur den
menschlichen Weltaufenthalt, sondern gibt zugleich Aufschluß über das Wie des Wohnens. Das Wie ist als Rhythmus erstes Zeitmaß, und die Gliederung des Sprechens verweist somit in die Gliederung der Zeit. In Anlehnung an den Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades werden die zwei für das Abendland zentralen Ausprägungen der Sprache als Zeitgliederung näher verfolgt : der archaische Quantitätsrhythmus, der in einer “erfüllten Zeit” gründet, sowie die Betonungsrhythmik, mit der das arythmische Prinzip des Zählens in den Vordergrund tritt. Das Prinzip der “leeren Zeit” ist heute die umfassende Weltwirklichkeit. Ihm entspricht die Verfassung der Sprache (logos) als Logistik, Kybernetik und Informationstechnologie. Heideggers Name für diese Wirklichkeit ist das “Gestell”. In ihm herrscht das Metrum reiner Prozessualität. Im Zusammenhang dieser Einsicht wird die Frage nach dem Rhythmus neu gestellt. Es geht um das Wohnenkönnen (ethos) im Zeitalter des sich unaufhörlich verzehrenden Prozesses, und das heißt um die Frage nach der geschichtlichen Dimension des Rhythmischen als erstem Zeitmaß.


STICHWORTE : Rhythmus, Sprache, Zeit, Ethos, Maß, Gestell.


“Der Wind war erregt, neu,

mild, und alles stieg auf :

Gerüche, Rufe, Glocken”

(Rilke)



ABSTRACT : According to Martin Heidegger language is the “house of Being”. It is the language that allows us to be in the world, and at the same time it is the language which throws light upon how we are there. The air of Being is called with the ancient Greek rhythmos as a first measurement of time, and thus the articulation of our speech points out the articulation of time. With reference to the musicologist Thrasybulos Georgiades the two formations of language will be shown as articulations of time that are most decisive for the Occident : the archaic rhythm of quantity which originates from a “filled time”, and the rhythm of accentuation that belongs to the arythmic principle of counting. The counting-principle of “empty time” is the allincluding reality (truth) of the present world. Heidegger calls it the “Gestell”. In this connection we have to repeat the question about the rhythmos. The problem of Being in an epoch of an all dragging away processuality means nothing else than the question about the historical dimension of rhythmos as a first measure of time.


KEYWORDS : Rhythm ; language ; time ; ethos ; measure ; Gestell



“Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der
Mensch.” [1] So lautet das berühmte Diktum, mit dem Heidegger seinen Brief Über den Humanismus eröffnet. Die Behausung der Sprache ist nicht vom Haushaften her vorzustellen, vom Haus als einem fertigen Wohnding, in das wir einfach einziehen. Sondern das Haushafte bestimmt sich aus dem Wohnen, das Wohnen aber vom horchend-nennenden Fundament des Wortes her. Dieses schwingende Fundament des Hauses durchstimmt und durchherrscht seine Räume. Alles, was darin zum Vorschein kommt, kommt aus der Sphäre des Wortes, genauer : der Sphäre des dichterischen Wortes. Der Ort des Wohnens oder das ---- des Menschen gehört in das Wort. Dichterisch wohnet der Mensch, heißt es bei Hölderlin.



In einem Text aus dem Jahre 1960, Sprache und Heimat, schreibt Heidegger, das “ursprünglich und eigentlich Stimmende” der Dichtung seien das “Klingen und Schwingen des Sagens”, nämlich “Melodie und Rhythmus” (DE 91). Und Rhythmus, so heißt es an einer anderen Stelle, meint “nicht Fluß und Fließen, sondern Fügung” (USpr 230). Bis auf zwei weitere, kurze Bemerkungen, auf die ich später zu sprechen kommen werde, ist das alles, was man bei Heidegger zum Rhythmus findet. Durchbricht man jedoch die Oberfläche eines bloß rechnerischen Vorkommens, stößt man auf eine reiche, verwickelte und nie wirklich abgeschlossene Auseinandersetzung mit dem insbesondere das Sprachgeschehen bestimmenden Rhythmischen. Was ist das aber, das Rhythmische, das Bindende und Ruhe-Verleihende, und wo spielt es im Denken Heideggers eine wenn auch zunächst verborgene Rolle ?


Im folgenden möchte ich diesen Fragen in drei Hinsichten etwas genauer nachgehen. Zunächst sollen im Anschluß an den Münchner Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades die zwei für unseren heutigen Weltort zentralen Ausprägungen der Sprache als Rhythmus näher verfolgt werden. [...]


La suite ici.

Notes

[1Martin Heidegger, Über den Humanismus, Frankfurt/M. 1991, 5. Die Werke Heideggers werden nach folgenden Siglen zitiert : Denkerfahrungen, Frankfurt/M. 1983 (DE), Über den Humanismus,
Frankfurt/ Main 1991 (Hum) ; Der Satz vom Grund, Pfullingen 1957 (SvGr) ; Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1990 (USpr) ; Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1990 (VA) ; Was heißt Denken ? Tübingen 1984 (WhD) ; Wegmarken, Frankfurt/M. 1978 (WM) ; Was ist das – die Philosophie ? Pfullingen 1988 (WiPh ?) ; die Bände der Gesamtausgabe werden mit GA, Band und Seitenzahl zitiert.

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